home
ausstellungen
- mayonnaise and the origin of life (2004)
- 1+1=3 (2004)
- missundaztood (2004)
- wirklichkeit ist was wir als wahr annehmen (2004)
- tempi passati (2003)
- remembering vision (2002)
- dream works (2001)
- woherwohinwarum (2000)
- das unsichtbare leben der dinge (1998)
malerei
rauchzeichnungen
installationen
kinetik - op art
objekte
fotografische arbeiten
performances
videos und filme
loom of creation
texte + bücher
vita

 Suche: 



 
more or less, 100 x 100 cm
more or less, 100 x 100 cm

missundaztood

die briten blödeln gerne über die deutschen. gelegentlich kann man in den englischen zeitungen - bewusst falsch geschrieben- lesen: „ze krauts missundaztood“ – übersetzt „die deutschen habens (mal wieder) nicht verstanden“. richtig wäre misunderstood. was mich wiederum veranlasst, einen kleinen diskurs über das verstehen zu schreiben:

vor jahren sass ich mal in einer kosmologie-konferenz. der damals führende experte über die schwarzen löcher, taylor, raste seinen vortrag in einer geschwindigkeit herunter, dass ich nichts verstehen konnte. vor kurzem las ich in der zeitung eine überschrift: der herr der schwarzen löcher. ich verstand: gemeint war eichel. letzte woche fuhr ich hinter einem wagen her mit einem aufkleber: NIX VERSTEHEN. wie das? hadde wadde dudde da? sie kennen alle die tv-schau: verstehen sie spass.. AAAHHH-iiiilton-singen die bremer fans. ailton sagt über sich selbst: ich immer tor ailton gutt. die ritual-und schlachtgesänge in den fussballstadien hat der englische anthropologe desmond morris untersucht: klar doch, schon die frühmenschen haben sie gesungen. der amerikanische neurologe und theaterschriftsteller oliver sacks beschrieb in seinem stück „the man who mistook his wife for a hat“- der man der seine frau mit einem hut verwechselte- das borderline-syndrom: ein mann, der die welt nicht mehr versteht. dahinter steckt immer auch die sehnsucht, die welt zu verstehen, sie zu deuten, zu interpretieren.

die kunst des verstehens nennt man hermeneutik. die ursprüngliche menschlickeit ist die ursprüngliche sprachlichkeit des menschen. aus der sprache, ja in der sprache, hat sich die menschliche weltansicht herausgearbeitet. die erste grosse abstraktionsleistung war das herausbilden des gedächtnisses. das eigentliche sein der sprache ist das, worin wir aufgehen. sprechen gehört nicht in die sphäre des ich sondern in den austausch ich und du. die universalität der sprache: alles was ich denken kann, kann ich sagen. was ich nicht sagen kann, darüber muss ich schweigen. sprache ist die mitte des seins, des miteinanderseins, der bereich der verständigung, des einverständnisses, das wir so brauchen wie die luft zum atmen.



 
Bodensee, 100 x 100 cm
Bodensee, 100 x 100 cm

semantik beschreibt sprache in einer zeichenwelt beobachtend, hermeneutik beschreibt den inneren vorgang des sprechens, die phänomene des verstehens und missverstehens. alles verstehen ist sprachlich. das philosophieren beginnt mit dem staunen, das zum denken aufruft.

mathematik ist lediglich ein symbolsystem und keine eigene sprache, in der über die welt gesprochen wird. wenn ein physiker sich verständlich machen will, ist er oft auf geistreiche weise poetisch. so versucht er zuerst sich selbst, und dann uns, in einer märchensprache die geheimnisse eines elektrons zu veranschaulichen. so zb. in „the particle zoo“ von gary zukav. aus der quantentheorie wissen wir, dass licht dies und gleichzeitig das sein kann (eine welle und ein partikel). eigentlich unmöglich. heisenberg fragte sich schon 1922 : wie können wir atome verstehen? vielleicht müssen wir neu erlernen was das wort verstehen wirklich bedeutet.


aus der geschichtlichen situation verstanden, die berühmte pilatusfrage: was ist wahrheit ? was jesus, oder ein anderer, als wahrheit verkündet, geht den staat überhaupt nichts an. das ist der politische aspekt der toleranz. hinzufügen könnte man den aspekt der freiheit und der persönlichen verantwortung. natürlich kennen wir den wahrheitsanspruch der wissenschaft: ungeprüfte vorurteile fraglich zu machen. das kann uns schon besorgt machen: müssen wir so viele fragen stellen und sie alle beantworten? dieses unbehagen gegenüber dem wahrheitsanspruch der wissenschaft regt sich vor allem in religion, philosophie und weltanschauung. wahrheit ist unverborgenheit. das offenbarmachen ist der sinn der rede. der ort der wahrheit ist das urteil . das erkenntnisideal ist der weg der methode (gadamer), der weg der es uns möglich macht ihn nachzuschreiten. wenn nachprüfbarkeit wahrheit erst ausmacht, dann ist es nicht mehr wahrheit sondern gewissheit.

es kann keine aussage geben, die schlechthin wahr ist. diese these ist bekannt als selbstkonstruktion der vernunft durch die dialektik (hegel). denn die wahrheit ist das ganze. jede aussage hat voraussetzungen, die sie nicht aussagt. es gibt keine aussage, die nicht wesenhaft auch antwort ist. jede frage ist motiviert...das zwingende der wissenschaft hat dort ein ende, wo die eigentlichen fragen des menschlichen daseins, endlichkeit, geschichtlichkeit, schuld, tod, kurz die grenzsituationen, erreicht sind. es gibt dann keine kommunikation mehr über erkenntnisse, sondern eine art übereinstimmung mit der existenz.

eine hermeneutische regel besagt, dass man das ganze aus dem einzelnen und das einzelne aus dem ganzen verstehen müsse. die bewegung des verstehens läuft vom ganzen zum teil und zurück zum ganzen. die aufgabe der hermeneutik ist es, das wunder des verstehens aufzuklären, das nicht eine geheimnisvolle kommunikation der seelen ist, sondern eine teilhabe am gemeinsamen sinn des ganzen.

aus dem theaterbereich wissen wir, dass proben auch ausprobieren heisst und verstehen meist nur annäherung. ausserhalb der wissenschaft wahrheit anzuerkennen, das liegt in der erfahrung der kunst, ja gerade darin, dass in der kunst wahrheit zu erfahren ist, macht ihre philosiophische bedeutung erst aus. eine buddhistische annäherung: nicht denken, sondern achtsam wahrnehmen. anders ausgedrückt: das leben ist kein problem, das man lösen muss, sondern ein geheimnis das man leben muss.


bruno demattio, geislingen, mai 2005




weiter zu: wirklichkeit ist was wir als wahr annehmen (2004)    

 © Copyright 2024 by bruno demattio