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über die zeit

Text zur ausstellung "zeitgleich 2001" im landratsamt göppingen:
15 künstler aus der region bruno demattio - mai 2001

Der BBK (bundesverband bildender künstler) nannte die reihe zeitgleich - gemeint war damit lediglich die tatsache, dass der BBK 150 ausstellungseröffnungen bundesweit an einem tag organisiert, am 11.mai 2001, also zeitgleich, was mich wiederum verleitet, einige wenige bemerkungen über die zeit zu machen.



Zeit ist ein konstrukt des menschen aber auch eine natürliche dimension unseres universums. Unter zeit verstehen wir das nicht wiederholbare, das nicht umkehrbare nacheinander, das uns bewusst wird als folge von veränderungen in natur und geschichte. Schon platon sah den zeitbegriff in enger beziehung zur bewegung, die sich im raum manifestiert. Raum und zeit stehen seither in der philosophischen und der wissenschaftlichen diskussion . schon sein zeitgenosse .heraklit bemerkte: "you cant step twice into the same river " - du kannst nicht zweimal in denselben fluss treten -" alles fliesst". Die erhellung dieses satzes bleibt bis heute eine der hauptaufgaben der metaphysik. In seinem buch "über die zeit" gibt norbert elias eine ethno-soziologische diagnose zur zeit. Er bemerkte dass in den verschiedenen kulturen verschiedene zeitvorstellungen herrschen.
Martin heideggers hauptwerk."SEIN UND ZEIT" versteht die grundverfassung des menschlichen daseins als ein in-der-welt-sein. Er stellt die frage nach dem sinn des seins und führt damit über zu einer existenziellen analyse des daseins.
Bloch in seinem prinzip hoffnung beschwört den geist der utopie. Damit ist gemeint, die gegenwart vorauszudenken: so hat ein philosoph die hoffnung, dass in der utopie ein stück gegenwart in spe existent ist, ja in der zukunft verankert wird und so wieder auf die gegenwart zurückstrahlt.. es geht darum, über das woher bescheid zu wissen wie über das wohin und das wo. Alle diese drei zeitzonen, also vergangenheit gegenwart und zukunft zusammen betrachtet erzeugen eine dynamische betrachtung der jetztzeit.

Der chaosforscher prigogine spricht vom pfeil der zeit: die zeit habe eine richtung, sie ist irreversibel und zielt in die zukunft Zeit taucht auf aus der vergangenheit, bleibt kurz im hier und jetzt und verschwindet in der zukunft. auch die physiker kennen den begriff der zeitlosigkeit. redet man von der zeitlosigkeit im christlichen abendland, sieht man darin eine theologische dimension: die der ewigkeit. Umgekeht sieht man im buddhismus, noch mehr im zen das bestreben darin, seine ganze aufmerksamkeit auf das hier und jetzt zu konzentrieren. Lenke deine aufmerksamkeit auf die aufmerksamkeit selbst, so voll bewusst im augenblick, im hier und jetzt der gegenwart, dann wird die vergangenheit und die zukunft zusammenfallen auf einen punkt: den der erleuchtung. Du bist mit der ewigkeit verbunden, du bist eins mit dem himmel, im zen auch samadhi genannt.

Eine interessante wenn auch unwahrscheinliche bemerkung machte der philosoph und dromologe paul virilio, der behauptet, die zeit wird immer schneller und der mensch sei in dieser beschleunigung gefangen. Ja, er sieht den menschen aus seiner realität verschwinden und eintauchen in eine neue virtuelle realität. Selbst der postmoderne denker baudrillard pflichtet ihm bei: ein gedanke den ich nicht teile: der mensch wird nie aus seiner wirklichkeit heraustreten. Die idee der beschleunigung wurde übrigens schon 1921 im futuristischen manifest in die Kunst eingeschleust. Wir leben in einer time-is-money-kultur, möglicherweise einer schnelleren zeit als die langsame zeit der kulturvölker, wo man noch zeit hat, die früchte zu sammeln, ein mahl vorzubereiten und danach gemeinsam für eine zeit zu palavern. Dieser gedanke wird wieder zugänglich gemacht in der slow-food-bewegung. Mit lust auf langsamkeit widersetzen sich immer mehr menschen stress und timing, um dem burn-out-syndrom zu entgehen. Ja, die universität klagenfurt hat einen verein gegründet "zur verzögerung der zeit". .Zeitmangel erscheint mir als eine verrückte erscheinung: trotz vieler maschinen im haushalt glaubt der mensch immer weniger zeit zu haben: er nimmt sie sich nicht. Wer immer in eile ist der wird zu spat kommen.
Natürlich gibt es unzählige aphorismen über die zeit einen unglücklichen spruch zb. kennen sie alle: "müssiggang ist aller laster anfang". Darin kommt zum ausdruck eine calvinistische arbeitsmoral, eine überbewertung der arbeit, zum nachteil einer unterbewertung der entfremdung durch die arbeit. Müssiggang wird schlichtweg als krank bezeichnet - doch müssiggang, richtig verstanden, ist für mich eben auch ein stück lebensqualität. Ein anderer "alles zu seiner zeit" - oder "eine schöne zeit damals".
Dagegen lobe ich mir schon den spruch der diesmal weisen schwaben: "no net hudle".

Und wie behandelten die künstler die zeit? Seit einstein wissen wir, dass die zeit als vierte dimension zu betrachten ist neben dem dreidimensionalen raum. Doch erlaubt es unsere wahrnehmungsphysiologie nicht, die zeit visuell darzustellen, wir können uns diese dimension nur denken. dennoch gibt es seit dem beginn der kunst annäherungen. Klar ist, dass fotografie konservierte zeit ist. Film ist nur in der zeit erlebbar, musik lebt nur aus der zeit so auch das theater: ich erinnere mich an performance-stücke von robert wilson, in seinen slow-moving-pieces, die bis zu 8 stunden, manchmal auch 8 tage dauerten. Natürlich belegte das thema zeit auch die literatur, und titel der bücher. Von prousts suche nach der verlorenen zeit bis zu hemingways wem die stunde schlägt. Bei proust ist die zeit das grosse paket der erinnerung, eine unbewusste zeit, eine innere zeit, in die der leser direkt eintauchen kann. Anders beim psychiater: da wird auf der couch in langen analytischen sitzungen die erinnerung ausgebaggert, ja dazu noch vom psychiater manipuliert, oder die erinnerung von ihm interpretiert. besonders interessant finde ich hierzu den versuch des inneren monologs, zb. bei nathalie sarraulte oder james joyce, die vergangene erinnerung, die ja aus nichts anderem besteht als in viele einzelteile zerlegte zeiten und begebenheiten des lebens wieder zusammenzufügen. Die erzählung wird in einen grossen strom der assoziationen gestellt, es entsteht ein poetischer raum. Aus dem gewusel der vielzahl psychischer ereignisse in einem lebens entsteht so eine neue, wenn auch fragile, identität..

Die aboriginees reden und leben in der traumzeit. So ähnlich stelle ich mir die surrealisten vor: sie führten das träumen der jetztzeit in die Kunst ein mit der ecriture automatique .die künstler schöpfen aus dem nichtwissen ihres tuns. So wie der weber webt ohne zu wissen was er webt. Wie aber behandelten die bildenden künstler das phänomen der zeit in ihren bildern? Von giotto wissen wir aus dem 13. jahrhundert, dass er ein fresko malte über die heimsuchung marias mit mehreren etappen. Eine geniale lösung. Das heisst er stellte die zeitfolgen dar in verschiedenen bildern. Auf einem der bilder ist zb. ein freudig mit dem schwanz wedelnder hund sichtbar, der in der rückkehr eines mannes seinen herrn wiedererkennt. natürlich ist zeit auch in der aktuellen Kunst immer noch ein thema. Einige wenige beispiele: einen künstler, der sich ausschliesslich mit dem thema zeit beschäftigt, ist ramon opalka, er war zb. schon zu sehen in der städt. kunsthalle göppingen. so schön auch ein einzelnes bild von ihm ist mit seinen aufsteigenden zahlen, so monoton, ja fast neurotisch dem ende zu strebend, erscheint mir die immer gleiche serie. Die serie läuft von 1 bis unendlich - bis ihm eben der griffel aus der hand fällt. Im moment lauten die letzten zahlen bei 6 millionen. Gerne möchte er die 7777777 erreichen. Ein leben in zahlen.

Einen nachdenklicheren aspekt bieten die installationen von christian boltanski: alte klamotten und bilder evozieren vergangenheit, erinnerungen an tod oder auch den genozid. Mario reis hängt leinwände in fliessende gewässer, darauf lagern sich ab die spuren der zeit. Oder bogomir ecker: er baute in hamburg die tropfsteinmaschine: in einigen tausend jahren soll dann in der kunsthalle ein kleiner tropfstein von wenigen zentimeter höhe entstanden sein - sofern die kunsthalle dann noch steht. Oder nennen wir hamish fulton und richard long: sie durchwanderten landschaften, dokumentierten die wanderungen: ja somit durchwanderten sie auch die zeit. . Bill viola und fabio plessi mit ihren videoinstallationen gehen mit dem betrachter auf eine zeitreise, gemauer führen ihn zur meditation. Ich habe zwar meine kollegen gebeten, ob sie ein bild zum thema zeit haben. Das eine oder andere bild mag direkt damit, also mit dem problem der zeit, zu tun haben. Doch irgendwie sind ja alle bilder ein ausdruck zur zeit. Ich darf sie bitten diese ausstellung so zu lesen - jeder künstler arbeitet in seiner zeit ja, er reflektiert auch immer seine zeit: wir können die zeit manipulieren doch immer auch sind wir handelnde als teil der zeit, als teil der natur die uns umgibt. Wie sagte noch marx in einer randbemerkung an milton: aus dem selben grund aus dem der seidenwurm seide spinnt, macht der künstler Kunst. Das heisst er reproduziert nichts als sich selbst.

bruno demattio - mai 2001






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